Eröffnungsvortrag auf der Tagung „#lesen.bayern“

Digitale Transformation und Lesen

v.l.n.r.: Tanja Mayr (ALP), Dr. Karin E. Oechslein (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, ISB), Dr. Harald Gapski, Prof. Dr. Anita Schilcher (Uni Regensburg), Jürgen Schenk-Deisenhofer (KUKA), Elfriede Ohrnberger (Staatsministerium für Unterricht und Kultus), Wolfram Schrag (BR, Moderator). Foto: Barbara Weiser

 

„Digitale Transformation und Lesen“ – unter diesem Titel hielt Dr. Harald Gapski den Eröffnungsvortrag auf der Fachtagung „#lesen.bayern“ der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) am 14. Juni 2018 in Dillingen an der Donau. Über 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Vertreter(innen) des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, des Staatsinstituts für Bildungsforschung, der Schulaufsichten, der Schulleitungen und Fachlehrkräfte, nahmen an dieser Auftaktveranstaltung zur Leseförderungsinitiative „#lesen.bayern“ teil.

In seinem Vortrag verwies Gapski zu Beginn auf die wandelnden Nutzungsformen und Redeweisen über Medientechnologien: Am Ende der „Gutenberg-Galaxis“ (Marshall McLuhan) spricht man nicht selten metaphorisch über die „Neuen Medien“ und die „digitale Welt“. Daten werden als das „neue Öl“ oder gar als das „Uran“ des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Zu- oder Rückgriffe auf das alte Leitmedium Buch kommen in der Rede von „Netbooks“ oder „Bookmarks“ auf „Seiten“ des Webs zum Ausdruck. Die realen Bücher hingegen werden digitalisiert, damit sie von Algorithmen und künstlichen Intelligenzen gelesen werden können. Das scrollende und wischende „Lesen“ des Smartphones geschieht im Displayrahmen und nutzt ein „Alphabet“, das beispielsweise durch die gleichnamige Konzernholding mitgestaltet wird. Eine Papierzeitung zu lesen, verlangt andere Bewusstseinsleistungen als mit dem sensorisierten und vernetzten Endgerät zu interagieren. Die Zeitung aus Papier ist nicht an ein globales Datenerfassungsnetzwerk angeschlossen, um Profile ihrer Leserinnen und Leser zu erstellen und datenökonomisch zu verwerten. Neue Bildungsherausforderungen entstehen: Welche Kompetenzen sind als Resonanz und Reaktion heute wichtig? Unterschiedliche Symbolsysteme zu verstehen sowie Interaktionen und Algorithmen in ihren Wirkungen einschätzen zu können? Wie verschiebt sich die Aufmerksamkeit der Lesenden, wenn vorwiegend die Artikel gelesen werden, die bereits hohe Abrufzahlen haben? Wie wird gelesen, wenn die erfolgte Textrezeption nur über ein „Gefällt mir“ und kaum noch diskursiv ausgedrückt wird?

Das Lesen in der digitalen Gesellschaft ist ein Lesen, das mit einem technologischen Sinnüberschuss konfrontiert ist, wenn sich der Computer an der gesellschaftlichen Kommunikation beteiligt (Dirk Baecker). Künstliche Intelligenzen lesen und schreiben vermehrt zusammen mit Menschen in soziotechnischen Systemen: Automatische Übersetzungsprogramme, Roboterjournalismus und Suchmaschinen stoßen in die Semantik der Sprache vor.

Die Frage, ob der Begriff „Künstliche Intelligenz“ selbst eine Metapher ist, führt hinein in die Reflexion über Differenzen zwischen Mensch und Maschine, in die starke und schwache These der KI. Diese Reflexion und viele weitere ethische, epistemische und politische Fragen bestärken indes die Bedeutung kritisch-diskursiven Denkens und Sprechens. In Zeiten der Digitalisierung und Datafizierung geht es nicht nur um das Zählen, sondern auch um das Erzählen, nicht nur um das Messen, sondern auch um das angemessene Bewerten und die ethische Urteilskraft. Um diese für ein reflektierendes Welt- und Selbstverständnis auszubilden, bedarf es der Sprache und der Schrift. Eben deshalb ist Lesekompetenz von enormer Bedeutung inmitten der digitalen Transformation.